weitere Themen 1908


Kreta mit Griechenland vereinigt

Am 6. Oktober 1908 erklärt der kretische Politiker Eleutherios Venizelos die Vereinigung der Insel mit Griechenland. Der Hochkommissar für Kreta, Prinz Georg, ein Befürworter der Autonomie der Insel, muss sein Amt aufgeben. Obwohl die Erklärung unter der griechischen Bevölkerung der Insel und auch des Festlandes euphorische Stimmung hervorruft, musste die griechische Regierung unter König Georg I den Unionsvertrag vorerst ablehnen. Griechenland ist von der Erklärung völlig überrascht worden und kann die notwendigen Schritte in der gebotenen Eile nicht vollziehen. Erst nach dem Zweiten Balkankrieg 1913 wird die Union vollzogen. Venizelos hat bereits während der vorangegangenen Jahre mehrfach Aufstände auf Kreta angeführt. Die häufigen Aufstände haben seit 1898, als die 500jährige türkische Herrschaft zu Ende ging und die Unabhängigkeit ausgerufen wurde, an Intensität zugenommen. Nun endlich, 1908, glauben die Griechen, dem alten Traum von der Wiederauferstehung des griechischen Reiches mit Konstantinopel als Hauptstadt einen Schritt näher gekommen zu sein. Die Garantiemächte erklären in einer Note, die Vereinigung der Insel mit dem Königreich wohlwollend zu akzeptieren, wenn die Sicherheit der Muslime und die Aufrechterhaltung der Ordnung gewährleistet bleibe. Der Abzug der Truppen im kommenden Jahr löst neuerliche Unruhen aus.


"Jungtürken" stürzen Sultan

Am 3. Juli 1908 bricht im Wilajet Monastir die “Jungtürkische Revolution” aus.

Die oppositionelle Organisation der “Jungtürken” agiert bereits seit 1889 gegen den Sultan Abdul Hamid II. Schon 1894 hat dieser mit der Verfolgung der Jungtürken begonnen, die sich seither im Ausland organisieren. Zentrum der Bewegung ist Paris.

Die Jungtürken sind nationalistisch gesinnt und rekrutieren sich aus Kadetten, Offizieren, Studenten und Beamten. Gemeinsames Ziel ist die Wiedererrichtung des Osmanischen Reiches in seiner alten Größe. Der Einfluss der islamischen Religion auf die Politik soll allerdings zugunsten der demokratischen Staatsform zurückgedrängt werden, die unterschiedlichen ethnischen Gruppen sollen gleiche Rechte erhalten. In der Praxis erweist sich diese Politik jedoch rasch als undurchführbar, und nach anfänglicher Unterstützung durch die Minderheiten eskalieren die Konflikte. Grausame Höhepunkte werden die Verfolgung der Araber und die Armenier-Massaker 1915.

Anfang Juli 1908 löst eine Militärrevolte in Saloniki die Revolution aus: Der Sultan versucht daraufhin, den Forderungen der Jungtürken entgegenzukommen und setzt am 24. Juli die Verfassung von 1876 wieder in Kraft. Das unvorsichtige Verhalten der Jungtürken löst jedoch wenig später die Bosnische Krise aus.

Der Sultan muss nach dem Scheitern eines Gegenputsches im Frühjahr 1909 zurücktreten.

"Jungtürken" lösen Bosnische Krise aus

Am 5. Oktober 1908 befehlen der österreichische Kaiser Franz-Joseph I. und sein Außenminister Alois Lexa von Aehrenthal die Annexion der Provinzen Bosnien und Herzegowina. Die Bosnische Annexionskrise hat begonnen.

Die von Sultan Abdul Hamid II. auf Druck der Jungtürken im Sommer 1908 wieder in Kraft gesetzte Verfassung von 1876 gilt nach Meinung der Jungtürken auch in den beiden, formell immer noch zum Osmanischen Reich gehörenden Provinzen. Für diese verlangen sie nun die Ausschreibung freier Wahlen. Daraus ergeben sich allerdings vorhersehbare und weitreichende Konsequenzen: Österreich, das seit der Besetzung 1878 faktisch die Macht in den beiden Provinzen ausübt, muss hierin eine Provokation sehen, die nun folgende Besetzung ruft wiederum die serbischen Nationalisten unter König Peter I. auf den Plan. Die daraufhin abgegebene Erklärung des russischen Außenministers Alexander Iswolskij, es sei während seines Treffens mit Aehrenthal in Buchlau Mitte September lediglich zu einem Meinungsaustausch und nicht zu weitergehenden Zusagen gekommen, bestärkt die serbische Regierung in ihrem Glauben, das Zarenreich würde ihr im Falle einer Auseinandersetzung militärisch zur Seite stehen; Belgrad befiehlt die Mobilmachung. Daraufhin rücken österreichische Truppen an die serbische Grenze vor. Als dann England – aus Angst vor dem Auseinanderbrechen der jungen “Triple Entente” – sich zur Unterstützung Russlands entschließt, stellt sich die deutsche Regierung demonstrativ hinter Wien. Der Konflikt droht zu eskalieren.

Bosnische Krise erschüttert Balkan

Am 7. Oktober 1908 werden die türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina auf Betreiben des österreichischen Außenministers Alois Lexa von Aehrenthal formell annektiert. Die Ausschreibung freier Wahlen durch die Jungtürken hat die Gefahr von Autonomiebestrebungen oder einer Wiederherstellung des türkischen Einflusses in der Region wachsen lassen, so dass die Wiener Regierung den Einmarsch von Truppen anordnet.

Seit dem blutigen Regierungswechsel in Belgrad 1903 haben Österreich und Russland die Geschicke des Balkans relativ harmonisch gemeinsam gesteuert. Erst als sich die russische Expansionspolitik nach der Niederlage in Fernost wieder intensiv auf den Balkan richtet, sind die alten Gegensätze erneut aufgebrochen. Nach dem Scheitern der Gespräche in Buchlau protestiert Russland gemeinsam mit den selbständigen Balkanstaaten Serbien und Montenegro gegen das österreichische Vorgehen. In den nächsten Monaten werden die Streitkräfte aller Seiten mobilisiert. Erst im Februar 1909 scheint sich durch einen Lösungsvorschlag des Deutschen Reiches das Ende des Konfliktes abzuzeichnen.


"Daily-Telegraph"- Interview löst Proteste aus

Am 28. Oktober 1908 erscheint in der Londoner Zeitung ”Daily Telegraph” ein Interview mit dem deutschen Kaiser über die Frage des deutsch-britischen Verhältnisses. Darin betont Wilhelm II. seine Bemühungen um ein freundschaftliches Verhältnis zu Großbritannien. Gleichzeitig stellt er fest, dass er mit dieser Sympathie in Deutschland fast allein stehe. In bekannt prahlerischer Manier behauptet er, anlässlich des Burenkrieges in Südafrika eine antibritische Koalition zwischen dem Reich, Frankreich und Russland verhindert zu haben. Auch sei er es gewesen, der seiner Großmutter, der 1901 verstorbenen Königin Victoria, ein Strategiepapier geschickt habe, das von dem britischen General Roberts befolgt worden sei und letztlich zum Sieg über die Buren führte.

Die Anmaßung und die Überheblichkeit des deutschen Kaisers rufen in der britischen Öffentlichkeit höhnische Kommentare und Empörung hervor. Die Briten sind die Taktlosigkeiten und die rhetorischen Patzer des Kaisers gewohnt. Die angebliche Sympathie des Kaisers für Großbritannien steht im krassen Widerspruch zu den forcierten Rüstungsbestrebungen des Reiches, die auch Großbritannien zu gewaltigen Rüstungsausgaben zwingen. Vor allem die Rolle, die Wilhelm im Burenkrieg gespielt zu haben vorgibt, sorgte teilweise für wütende Proteste.

Auch in Deutschland ruft das Interview ungewöhnlich scharfe Reaktionen auf die Äußerungen hervor. Selbst im Reichstag wird ungewohnt harte Kritik am Verhalten des Kaisers geübt.

Reichstag debattiert über "Daily-Telegraph-Affäre"

Am 10. und 11. November 1908 debattierten die Reichstagsabgeordneten über das umstrittene Interview des Kaisers im "Daily-Telegraph” vom 28. Oktober. Erstmals haben leichtfertige Äußerungen des Kaisers zu einer Krise des monarchischen Systems geführt. Die ”Krügerdepesche”, die ”Hunnenrede”, und das Auftreten des Kaisers während der ”Marokkokrise” haben schon zuvor für Kritik am Kaiser gesorgt. Mit der ”Daily-Telegraph-Affäre” hat nun Wilhelm II. dem Ansehen des Reiches und der Monarchie auch international geschadet.

Auch Reichskanzler von Bülow, der den Text des Interviews ungelesen weitergegeben hatte, gerät wegen der Affäre in die Kritik. Die Reichstagsabgeordneten nutzten die Gelegenheit zu einem Misstrauensvotum allerdings nicht. Mit der Reichstagsdebatte über den Kaiser ist praktisch dessen Entmachtung eingeleitet worden. Zwar bleibt er weiterhin das Oberhaupt des Reiches, muss jedoch von da an alle Verlautbarungen dem jeweils amtierenden Reichskanzler vorlegen. Warnungen, sich künftig zurückzuhalten, ignoriert Wilhelm. Sein ohnehin geringer Einfluss auf den Reichstag geht weiter zurück, für die politisch Verantwortlichen verliert der Kaiser mehr und mehr an Autorität.


Wilhelm Busch gestorben

Der deutsche Schriftsteller, Zeichner und Maler Wilhelm Busch wird am 15. April 1832 in Wiedensahl geboren. Er absolviert eine gründliche Ausbildung als Kunstmaler 1851 bis 1854 an den Akademien in Düsseldorf, Antwerpen und München, verdient aber später seinen Lebensunterhalt fast ausschließlich als Zeichner witziger Bildfolgen für Illustrierte, wie die Münchner Fliegenden Blätter. Deren erste und zugleich populärste ist die Lausbubenposse Max und Moritz (1865). Schon dort kommen die typischen Züge seiner Bildergeschichten zum Vorschein: Knappe, pointierte Texte und Bilder von drastischer Komik belegen Buschs kritische Haltung gegenüber den Schwächen und der verlogenen Moral seiner Mitmenschen. Insgesamt spricht trotz aller Komik hieraus eine zutiefst pessimistische Weltsicht, wie sie vielen großen Humoristen eigen ist. Besonders deutlich tritt Buschs schwarzer Humor in Der heilige Antonius von Padua (1870), einer Satire auf den Katholizismus, oder Die fromme Helene („Hier sieht man ihre Trümmer rauchen. Der Rest ist nicht mehr zu gebrauchen.“) hervor. Eher harmlos-vergnüglich fallen die Erlebnisse von Plisch und Plum (1882), Fips der Affe und Hans Huckebein, der Unglückrabe aus. Der enorme Erfolg seiner Bildergeschichten kann Busch zeitlebens nicht darüber hinwegtrösten, dass er als Kunstmaler keine Anerkennung findet. Busch stirbt am 9. Januar 1908 in Mechtshausen. Ihm zu Ehren wird in Hannover das Wilhelm-Busch-Museum eingerichtet, und auch sein Geburtshaus in Wiedensahl steht interessierten Besuchern offen.


Transsibirische Eisenbahn im Bau

Mit ihrer ernsthaften Planung wird in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, teilweise aus militärischen Erwägungen und teilweise auch aus ökonomischen Gründen (u. a. Erschließung von Bodenschätzen), begonnen. Bei der Planung überlegt man, die unberührten, aber kultivierbaren Ländereien im Osten zu kolonisieren, was die ländliche Überbevölkerung im europäischen Teil Russlands entlasten soll. Die entscheidende Triebkraft bei der Bauentscheidung ist Zar Alexander III. Bereits 1890 ist die Eisenbahn etwa 2 000 Kilometer östlich Moskaus bis nach Tscheljabinsk vorgedrungen. Von 1891 bis 1892 beginnt hier und am Wladiwostoker Ende der Strecke der Bau der Transsibirischen Eisenbahn, die man bis Ende 1904 durchgängig fertig stellt. Eine Beschränkung auf russisches Territorium hätte eine Umleitung durch schwierig zugängliches Gelände östlich des Baikalsees bedeutet. So wird anfangs, entsprechend einem Vertrag mit China aus dem Jahr 1896, eine deutlich kürzere und leichtere Streckenführung östlich von Chita durch die Mandschurei in Angriff genommen, die über die Ostchinesische Eisenbahn verläuft. Sie wird von 1897 bis 1904 mit privatem Kapital erbaut. Auf dieser Strecke sind es von Tscheljabinsk bis Wladiwostok 4 045 Kilometer. Die ausschließlich auf russischem Territorium verlaufende Strecke wird von 1908 bis 1914 erbaut. Die Kosten pro Kilometer sind hier doppelt so hoch wie bei allen anderen Abschnitten der Transsibirischen Eisenbahn. Dieser Abschnitt führt von Moskau nach Omsk über Jekaterinburg und nicht über Tscheljabinsk. Die Entfernung von Tscheljabinsk nach Wladiwostok über diesen Streckenverlauf beträgt 7 512 Kilometer. Auf der transsibirischen Strecke werden neben Personen auch Güter transportiert. Zu den wichtigen Frachtgütern gehören u. a. Bodenschätze und Frischprodukte. Letztere erfordern aufgrund der weiten Entfernungen ein großes Aufgebot an Kühlwagen. Mit einer Länge von 9 289 Kilometern (zwischen Moskau und Wladiwostok) ist die Strecke der Transsibirischen Eisenbahn die längste Eisenbahnstrecke der Erde.


Außenministertreffen in Buchlau

Mitte September 1908 empfängt der österreichische Außenminister Alois Lexa von Aehrenthal in Buchlau in der Steiermark seinen russischen Amtskollegen Alexander Iswolskij. Nachdem es diesem nicht gelungen ist, die englische Regierung zu einem Unternehmen zur Öffnung der Meerengen am Bosporus und an den Dardanellen zu bewegen, sucht er nun in Österreich Unterstützung für dieses Vorhaben, das der russischen Schwarzmeerflotte Zugang zum Mittelmeer verschaffen soll. Als Gegenleistung sagt Iswolskij von Aehrenthal Unterstützung bei der Annexion Bosniens und der Herzegowina zu. Entscheidender Fehler der Gespräche ist, dass die beiden Minister keinen präzisen Zeitpunkt für die Umsetzung der österreichischen Annexionspläne abgesprochen haben. So wird Iswolskij knapp zwei Wochen nach den Gesprächen in Paris von der Ankündigung von Aehrenthals überrascht, dass die österreichische Intervention unmittelbar bevorstehe. Die neuesten Entwicklungen in der Türkei hatten Wien zu energischem Handeln veranlasst.


Britisch-russisches Treffen löst Spekulationen aus

Am 9. Juni 1908 empfängt Zar Nikolaj II. im estischen Ostseehafen Reval den britischen König Edward VII. Das Treffen hat rein freundschaftlichen Charakter und dient der Festigung der britisch-russischen Entente. Im Ausland wird das Treffen jedoch aufmerksam verfolgt. Nicht nur die deutsche Regierung nimmt die britisch-russische Annäherung mit Skepsis zur Kenntnis, auch in Konstantinopel sieht man in der Begegnung ein Indiz für eine baldige Abgrenzung der Interessensphären Russlands und Großbritanniens auf türkischem Territorium. Auch die wenige Wochen später ausbrechende “Jungtürkische Revolution” kann diesbezügliche Ängste nicht verdrängen. Die sich häufenden Kontakte britischer, französischer und russischer Politiker veranlassen die Türkei, Bündnisverhandlungen mit dem Deutschen Reich aufzunehmen. Erstmals zeichnet sich damit die Mächtekonstellation ab, die auch im Ersten Weltkrieg Bestand haben soll.


Deutsch-britische Rüstungsgespräche

Am 11. August 1908 trifft der deutsche Kaiser Wilhelm II. mit dem britischen König Edward VII. in Homburg zusammen. Der britische Monarch versucht, auf Wilhelm im Sinne einer Begrenzung des Rüstungsetats einzuwirken.

Seit der “Ersten Flottenvorlage” von 1898 betreiben beide Länder eine extrem kostspielige Rüstungspolitik. Gleichzeitig zu dem Treffen der Monarchen finden auch in London deutsch-britische Gespräche über eine mögliche Rüstungsbegrenzung statt. Dort verhandeln Premierminister David Lloyd George und Außenminister Edward Grey mit dem deutschen Botschafter Wolff Metternich.

Versuche des Botschafters, den deutschen Kaiser zum Überdenken der britischen Vorschläge zu bewegen, beantwortet dieser jedoch mit einer scharfen Rüge an Metternich.

Sir Charles Hardinge, Sekretär im britischen Außenministerium, legt Wilhelm seine Meinung dar, demzufolge nur eine Verlangsamung der Aufrüstung eine Verbesserung des Verhältnisses beider Länder bewirken könne. Wilhelm beharrt jedoch auf seinem Standpunkt. Der Entwurf eines Flottenabkommens wird von deutscher Seite abgelehnt.


Gesetz verbessert Lage der Eingeborenen

Nach mehreren Debatten wird am 18. März 1908 im Reichstag ein Gesetzespaket zur Verwaltung der Kolonien beschlossen. Die oppositionellen Sozialdemokraten haben diese Debatte erwirkt, deren Ziel eine Neudefinition des Umgangs mit den Kolonien und den Eingeborenen ist. Nach den verlustreichen Kämpfen zur Niederschlagung der Aufstände in den Kolonien ist auch bei den Konservativen die Erkenntnis gereift, dass man zu einer neuen Regelung kommen muss. Die Eingeborenen werden fortan als “das wertvollste Gut der Kolonien” bezeichnet und sollen dementsprechend behandelt werden. Tatsächlich verbesserte sich ihre Lage in den meisten Kolonien schnell, nur in Südwestafrika nutzten die weißen Siedler die Schwarzen weiter gnadenlos aus. Das Gesetz war allerdings nur aufgrund der jahrelangen massiven Kritik der SPD an der Kolonialpolitik der konservativen Regierungsparteien zustande gekommen.