Die Schweizer an sich

Ein Promille der Weltbevölkerung genießt die Schweizer Staatsbürgerschaft. Nach längstens dreistündiger Autofahrt ohne große Richtungswechsel ist jeder Schweizer ein Ausländer. Wie präsentieren sich also die Schweizer gegenüber den Ausländern im eigenen Land? Wie wirkt dieses Land auf einen Ausländer? Zunächst einmal werden hier die Dinge beim Namen genannt, und Ausländer werden auch als solche bezeichnet, nicht etwa als ausländische Mitbürger, Zugereiste oder gar multikultureller Beitrag verbrämt.

Einst saß ich in einem Garten- Restaurant am See. Auf der Wiese vor dem Restaurant war ein kleines Festzelt aufgebaut. Ein Reisebus hielt, und heraus kam der komplette Schweizer Bundesrat. Herr Ogi und dessen Mitstreiter bahnten sich ihren Weg an den Tischen  vorbei zum Festzelt. Ich meinte zu meinem Gegenüber,  dass dies in Deutschland nicht möglich wäre, da dort die Regierung rigoros abgeschirmt werde.

Mein Gegenüber, ein Schweizer (wenn auch Westschweizer), entgegnete, hier seien die Politiker nicht in Gefahr, da jeder wisse, dass die Schweiz in Wirklichkeit von den Banken und den Lobbyisten regiert werde. Dem kann man als Ausländer natürlich nicht widersprechen; aber eine schlanke Demokratie, in der die Politiker morgens (oder mittags, je nachdem) mit der Straßenbahn zur Arbeit ins Berner Bundeshaus kommen und an der Haltestelle schnell noch ein Interview rauslassen, hat sicher einiges für sich.

Die schlanke Demokratie gliedert sich in einen Staatsrat, einen Grossen Rat, einen Nationalrat und einen Ständerat. Darin tummeln sich die folgenden Parteien:

Die Schweiz ist eine parlamentarische Bundesrepublik, die auf der Verfassung vom 29. Mai 1874 beruht. Bei den Bundeswahlen sind alle Bürger über 18 Jahren wahlberechtigt. Die SchweizerInnen erhielten erst 1971 (!) durch ein Referendum das Stimm- und Wahlrecht auf Bundesebene. Man wählt nicht nur die Abgeordneten, sondern kann auch über Bundesgesetze und Verfassungsänderungen abstimmen. Das Referendum ist ein wichtiger Bestandteil der schweizerischen Gesetzgebung. Verfassungsänderungen können bei geschickter Reklame auf dem Weg des Volksbegehrens von mindestens 100 000 stimmberechtigten Bürgern angeregt werden (Verfassungsinitiative). Die Verfassungsänderung muss im Anschluss daran durch einen Volksentscheid bestätigt werden. Bundesgesetze müssen ebenfalls einer Volksabstimmung unterbreitet werden.

Gesetzgebendes Organ ist die Bundesversammlung, das schweizerische Parlament. Es besteht aus zwei Kammern, dem Ständerat und Nationalrat. Der Ständerat umfasst 46 Abgeordnete, die nach den jeweiligen Vorschriften der Kantone nach dem Mehrheitswahlrecht für vier Jahre gewählt werden. Jeder Kanton hat zwei Mandate, jeder Halbkanton ein Mandat. Der Nationalrat wird aus 200 nach dem Verhältniswahlrecht gewählten Abgeordneten gebildet.

Das oberste Exekutivorgan der Schweiz ist der Bundesrat. Er wird alle vier Jahre von der Bundesversammlung gewählt und besteht aus sieben Ministern. Der Bundesrat ist dem Parlament verantwortlich. Der Vorsitzende des Bundesrates, der Bundespräsident, wird von der Bundesversammlung für ein Jahr gewählt. Nach der Verfassung ist die Wiederwahl des Bundespräsidenten für aufeinanderfolgende Amtsperioden ausdrücklich untersagt.

Die Judikative erledigt das Bundesgericht in Lausanne mit 30 Richtern, die für eine Amtszeit von sechs Jahren von der Bundesversammlung ernannt werden. Es bildet die letzte Instanz bei Verfahren zwischen Bund und Kantonen, Körperschaften und Privatpersonen und bei interkantonalen Streitfällen. Einen eigenen Zuständigkeitsbereich hat das Bundesgericht nur in Fragen des Verfassungsverstoßes. Jeder Kanton hat ein eigenes, unabhängiges Rechtssystem mit Zivil-, Straf- und Berufungsgerichten. Die Todesstrafe wurde 1942 abgeschafft.

Die Amtssprachen der Schweiz sind Deutsch (65 Prozent der Bevölkerung), Französisch (18 Prozent) und Italienisch (10 Prozent). Seit der Volksabstimmung vom 10. März 1996 ist Rätoromanisch, das von weniger als einem Prozent der Bevölkerung gesprochen wird, vierte Amtssprache. Der mit sechs Prozent relativ hohe Anteil anderer Sprachen spiegelt den hohen Ausländeranteil wider. 

In der Deutschschweiz wird Schwyzerdütsch gesprochen, ein alemannischer Dialekt, der weitgehend von der Schriftsprache sowie von anderen deutschen Dialekten abweicht. Tageszeitungen und Zeitschriften erscheinen in "Hochdeutsch" (Schriftdeutsch). In den Kantonen Freiburg (Fribourg), Jura, Waadt (Vaud), Wallis (Valais), Neuenburg (Neuchâtel) und Genf (Genève) ist französisch dominierend. Das Tessin (Ticino) bildet den überwiegenden Teil des italienischen Sprachraumes. Bündnerromanisch wird in erster Linie im Kanton Graubünden (Grisons) gesprochen.

Überhaupt ist die Sprache ein Phänomen. So wie jeder kleine Ort eine Kirche und ein Postamt hat (das manchmal vom Gemeindevorsteher in dessen Haus geführt wird), so hat fast jeder Ort seinen eigenen Dialekt. Mancherorts können sich die Leute unten aus dem Tal nicht richtig mit denen oben vom Berg unterhalten. Dies führt natürlich zu Missverständnissen. Andererseits wissen Schweizer mit geübten Ohren somit gleich, mit wem sie es zu tun haben.

Die Crux bei dem Ganzen ist, das sich das Schweizer Volk untereinander nicht versteht. Die Deutschschweizer sind nicht besonders scharf darauf, Französisch zu sprechen, und würden in der Schule lieber Englisch als erste Fremdsprache lernen. Die Welschen lernen zwar mit Ach und Krach Deutsch, können dies aber nicht anwenden, da praktisch kein Deutschschweizer länger als drei Sätze hochdeutsch spricht (darum haben übrigens deren Kinder in der Primarschule auch größte Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung). Alles in allem hat es den Eindruck, als ob dieses Nicht- Verstehen auch ein Nicht- Verständnis untereinander zur Folge hat. Und dann hat es ja noch die Bündner und die Tessiner!

Wenn die Schweiz also vier Amtssprachen hat, heißt das noch lange nicht, dass auch die Amtsträger mehrsprachig sind. Jeder, so hat es den Anschein, verteidigt seinen Sprachraum mit Zähnen und Klauen. Und wenn man in einem Französischsprachigem Bereich zum Arzt geht, ins Krankenhaus eingeliefert wird, mit der Polizei zu tun bekommt oder sich gar vor dem Gericht zu verantworten hat, tut man wirklich gut daran, französisch zu sprechen.